Über die CD „FUJARA“ von Marco Trochelmann

Der erste, unmittelbare Hör-Zugang zu dieser singulären CD bietet Verblüffendes: eine sehr attraktive Mischung aus exotisch Fremdem in der Klanglichkeit des Instruments und zugleich von Vertrautem in den musikalischen Gesten, in den melodischen, figurativen und rhythmischen Formulierungen. Damit, ist auch die Neugier geweckt, ;Näheres..über dieses Instrument zu erfahren; doch alle großen Musiklexika verweigern die Auskunft. Erst das „Reallexikon der Musikinstrumente" von Curt Sachs (1913) verrät, dass die Fujara (auch Fugara, Fogara, Vogara) eine Hirtenflöte sehr unterschiedlicher Größe sei, verbreitet in Böhmen, der Slowakei, in Teilen Polens und Ungarns. Deutsche Orgeln des 17. und 18.Jahrhunderts hatten häufig ein Fujara-Register. Eine gewisse Berühmtheit bekam die Fujara im musiksoziologischen Diskurs der 70er Jahre. Die Behauptung des Musikwissenschaftlers und Musiksoziologen Tibor Kneif, der Hirt, der ganz allein in einem ausgedehnten Landstrich auf seiner Fujara improvisiere, mache Musik ohne die Gesellschaft, scheint zunächst plausibel zu sein, erweist sich aber schon bei flüchtiger Überprüfung als unhaltbar. Sein Instrument, seine Existenz als Hirt, sein Alleinsein - all das ist Resultat gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Das Tonsystem, dessen er sich bedient, die Modi, die melodischen Formeln, Rhythmen, die spezifischen Arten, wie Empfindungen in Klänge umgesetzt werden, sind Teil einer gesellschaftlich begründeten Musiksprache als eines kommunikativen Codes, an dem der Hirte Teil hat. Das volksmusikalische überlieferte (z.B. durch die Sammlungen Bla eBartöles) Repertoire, an dem immer auch Fujara-Musik beteiligt ist, hat mit der dümmlichen volkstümlichen Unterhaltungsmusik, die in den Medien als Volksmusik verkauft wird, nichts zu tun. Die Bauernmusik Ost- und SüdostEuropas, sei sie sprachgebunden, tänzerisch oder improvisatorisch, ist in der Regel klar strukturiert, ohne in öde-schematische 2- und 4-Takt-Gruppen gepresst zu sein, sie ist überraschend reich in den Metren und in den Modi. Marco Trochelmann, der betont, originäre Musik für die Fujara nicht kennen gelernt zu haben, macht Musik, die einerseits sehr eng, ja ingeniös auf die unglaublich vielfältigen Möglichkeiten dieses Instruments eingeht, andererseits aber ganz selbstverständlich sich der musiksprachlichen kommunikativen Codes unserer Zeit bedient. Gerade das virtuose Erkunden der Möglichkeiten von Partialtonspektren baut wunderbare Brücken zwischen diesen Ebenen. Improvisiertes, locker Gefügtes und dramaturgisch Geplantes, fest Gefügtes greifen ineinander; es dominiert aber eine träumerische Assoziations-Vielfalt der Gefühlsverläufe, in der sich der spielend-improvisierende Autor vom entwerfend-festlegenden Komponisten trennt. Hört man die CD aktiv-analytisch, stellen sich streckenweise Ermüdungserscheinungen ein - womit aber nicht gesagt ist, dass diese Rezeptionsweise die allein gültige sei. Der „impressionistische" Reiz des Farben- und Gestaltenreichtums dieser CD erhält besonders bei den Stücken, die im Mehrspurverfahren aufgenommen wurden, einen festeren strukturellen Rückhalt. Die notwendige Interaktion zwischen den Spuren führt zu produktiven kontrapunktischen Spannungen, deren Konsequenzen der Komponist in plausible dramaturgische Verläufe umsetzt. Die FUJARA-CD von Marco Trochelmann vermag zu verblüffen, anzuregen und anzurühren zugleich. Sie ermöglicht emotiven Assoziations-Reichtum und vernachlässigt darüber Kognitives nicht.

Hartmut Fladt

(Prof. Dr. Hartmut Fladt ist Professor für Musikwissenschaft, Musiktheorie, Komposition und Musikübertragung an der Universität der Künste in Berlin)



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